Während wir gesamtgesellschaftlich darüber diskutieren, ob immer restriktivere Maßnahmen in der Migrationspolitik vertretbar sind und sich sogar Teile unserer eigenen Partei, mit Argumenten rechtskonservativer Kräfte auseinandersetzen, tragen wir gleichzeitig selber zur Verschiebung des Diskurses bei. Und damit zur Normalisierung einer Politik, die Menschenrechte zur Verhandlungsmasse macht.
Denn nicht die aktive Befürwortung der Maßnahmen unterstützt, dass BürgerInnen sich eine Verschärfung des aktuellen Migrationskurses wünschen, sondern die Tatsache, dass wir die Schlüsselwörter dieses Diskurses immer wieder in unsere Auseinandersetzung einfließen lassen und damit einen gedanklichen Zusammenhang schaffen. Kurz gesagt: wann immer das Stichwort Migration fällt, löst das eine Kette von Assoziationen aus, die allesamt negativ besetzt sind.
Der aktuelle Diskurs impliziert, dass nationale Homogenität ein relevanter Faktor für Sicherheit und fortlaufenden Wohlstand darstellt, was bedeuten würde, dass insbesondere die Teile von Deutschland besonders sicher und wirtschaftlich gut aufgestellt seien, in denen es keine eingewanderten Menschen gibt. Um festzustellen, dass diese Annahme kompletter Unfug ist, braucht man keine Statistik zu bemühen. Dennoch ist sich kaum ein/e SpitzenpolitikerIn zu schade, diese Annahme durch den Einstieg in die Debatte öffentlich zu reproduzieren.
Zweitens impliziert der Diskurs, dass unsere Infrastruktur an ihre Grenzen stößt, die Kommunen völlig überlastet sind und wir uns Zuwanderung in dieser Größenordnung überhaupt nicht leisten können. Richtig ist: viele Verwaltungen arbeiten am Limit – die Ursachen dafür, liegen aber wohl kaum am Zuzug von Schutzsuchenden. Wenn schon eine Anmeldung bei der Meldestelle viele Kommunen an den Rand ihrer Arbeitsfähigkeit bringt, stellt sich die Frage, ob kommunale Aussagen in Bezug auf die Unterbringung von Geflüchteten ein Maßstab zur Beurteilung einer Lage darstellen.
Am vergangenen Freitag ist dann der vorläufige Tiefpunkt einer unsäglich empathielosen Debatte erreicht worden:
Unter dem Applaus rechtskonservativer PolitikerInnen wird die „vorläufige“ Aussetzung des Familiennachzugs für Subsidiär Schutzberechtigte beschlossen. Genau die Menschen, die schon in Syrien seit über einem Jahrzehnt zu Spielbällen der Politik wurden, sind wieder die Leidtragenden. Die Debatte dazu, ob SyrerInnen mit Schutzstatus ihre Familien ebenfalls in Sicherheit bringen dürfen oder nicht, hat mit sachlichen Argumenten allerdings schon lange nichts mehr zu tun.
Und noch während wir das beschließen, erleben wir schon Abschiebungen mitten aus dem Schulunterricht oder von der Arbeitsstelle heraus. Eine afghanische Kita Mitarbeiterin wird morgens vor Arbeitsbeginn von den Behörden in Abschiebegewahrsam genommen, sie soll „zurück“ nach Litauen. Kinder, die vormittags noch Mathe lernen oder mit ihren Freund*innen spielen, werden ohne Vorwarnung abgeholt und in ein fremdes Land verfrachtet, das für sie nichts bedeutet außer Angst. Diese Bilder erschüttern – und sie sagen mehr über uns aus als über die Menschen, die abgeschoben werden.
Die Journalistin Isabel Schayani sagte in einem TV Format, „wir sprechen über Menschen wie über Klappstühle“. Die Frage, die sie damit stellt, lautet: was ist das eigentlich für eine unglaublich menschenfeindliche Debatte? Wir müssen uns doch fragen: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? In einer, in der Kinder in Klassenzimmern verhaftet werden? In der Menschenwürde abhängig ist von Herkunft, Aufenthaltsstatus oder wirtschaftlichem Nutzen? In der Gleichgültigkeit lauter ist als Mitgefühl?
Wenn wir solchen Entwicklungen nicht endlich laut und deutlich entgegentreten – auch innerhalb unserer eigenen Partei –, verlieren wir nicht nur unseren moralischen Kompass. Wir verlieren unser Gesicht als offene, demokratische Gesellschaft!
Bei diesem Artikeln handelt es sich um ein Statement von einem einzelnen Mitglied und nicht um eine Veröffentlichung im Namen des Parteivorstands oder des Kreisverbands Mönchengladbach.
Der Beitrag Abschiebungen 3.0 – Aussetzung des Familiennachzugs erschien zuerst auf Bündnis 90/ Die Grünen Mönchengladbach.